Digital Trauern
Internetportale, Gedenkseiten und vor allem Social Media sind mittlerweile bewährte Orte, um Trauer und Anteilnahme auszudrücken.
Digital Trauern – geht das? Die Entwickler:innen des angeblich ersten digitalen Trauerbegleiters, der App GRIEVY, bejahen diese Frage. GRIEVY ist ein modular aufgebauter digitaler Trauerbegleit-Service. Die App ist ein aktuelles Beispiel einer Entwicklung, die seit einigen Jahren vonstattengeht: Immer mehr Lebensbereiche haben sich im Zuge der andauernden digitalen Transformation zumindest zum Teil ins Internet verlagert. Das trifft auch auf unseren Umgang mit dem Tod zu.
Das Thema Tod und Trauer ist in vielen Bereichen des Internets präsent:
In den Onlineauftritten von Tageszeitungen gibt es seit langem Möglichkeiten zur Online-Kondolenz. Dort kann beispielsweise virtuell eine Kerze angezündet oder eine Beileidsbekundung hinterlassen werden.
Akteure im Bereich des Trauerwesens erkannten das Potenzial des Internets und gründeten Online-Trauerportale. Bekannt sind Seiten wie trauer.de oder trauernetz.de. Plattformen wie gedenkseiten.de bieten Privatpersonen eine Möglichkeit, Gedenkseiten für Verstorbene einzurichten.
Mit dem Einfließen ins Internet und in soziale Medien verändern sich Trauerformen und Trauerrituale:
Trauer wird im Internet individueller, differenzierter, interaktiver, dynamischer und persönlicher, stellt der Soziologe und Trauerforscher Thorsten Benkel (Universität Passau) in einem Interview mit der taz am Wochenende fest. Im Internet könne jeder trauern, wie er möchte. (Thorsten Benkel, taz-Interview, https://taz.de/Friedhofsforscher-ueber-digitale-Trauer/!5243902/)
In Bezug auf pietätsvolles Verhalten im Netz und in Social Media gibt es jedoch auch Verunsicherung. Wie soll man angemessen und pietätsvoll auf einen im Netzwerk angezeigten Todesfall reagieren? Wir müssen uns die Kulturtechniken für das Trauern im Internet zum Teil erst aneignen.
Von ihrer eigenen Zielsetzung her eignen sich soziale Medien als Interaktions- und Kommunikationsraum für Trauer gut.
“Trauer ist wesentlichein Beziehungsgeschehen, von daher bietet es sich an, Trauer als ein Resonanzgeschehen zu begreifen. Das Internet ist ein Medium neben anderen, das Resonanzerfahrungen ermöglichen kann.“ (Carmen Berger-Zell, Trauerseelsorge im Internet, in: Leidfaden, Heft 1/2020, S. 58)
Mit den in den Programmen enthaltenen Optionen, Musik, kurze Videos, Bilder, sowie geteilte oder selbst verfasste Texte einzubinden, kann der Trauer oder Anteilnahme Ausdruck verliehen werden. In den Netzwerken können spontan, oder auch organisiert und begleitet, Trauer-Selbsthilfegruppen entstehen.
Wer in Trauer professionellen Rat und Begleitung sucht, muss sich heutzutage nicht unbedingt an einschlägige Portale wenden. In Plattformen wie Instagram oder auch in TikTok findet man relativ schnell geeignete Ansprechpartner.
„Es gibt mittlerweile zahlreiche Pastoren und Pastorinnen und andere kirchliche Menschen mit Seelsorgeausbildung, die auf Social Media Gesicht zeigen, die ansprechbar sind und die Menschen in ihren jeweiligen Lebensumständen begleiten, einfach, indem sie dauerhaft präsent sind.“ (CarolaScherf, Digitale Tränen, in: Leidfaden, Heft 1/2020, S. 52)
Tod und Trauer wurden immer schon in Kunst, Musik, Film und Literatur medial bearbeitet. Das Internet erweitert und individualisiert diese Möglichkeiten privater und öffentlicher Trauer maßgeblich.
Dieser Artikel ist in einer längeren Version erstveröffentlicht in: Sterben Tod Trauer - Meine Wege. Deine Wege, Unser Leben!, Werkbrief für die Landjugend 2023/1, S. 16-18: